Deutschlands Grenzen haben sich in den über 1100 Jahren seiner Geschichte viele hundert mal verändert. In der Mitte Europas gelegen war Deutschland immer wieder Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, selber Ausgangspunkt oder Opfer, aber auch friedlicher Grenzänderungen, wie durch Heirat, Kronerbe oder Vertrag. Als besonders tragisch erwies sich die Teilung des Frankenreichs in der Nachfolge Karls des Großen in drei Teile mit der Folge einer über 1000 Jahre währenden Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Deutschland um das ‚Zwischenreich’ im Westen. Tragisch auch der Verlust von 1000 Jahren deutscher Geschichte im Osten durch zwei verlorene Weltkriege. Deutschland, lange Zeit ‚zu stark, um in Frieden unter Gleichen zu leben, aber auch zu schwach, um seine Nachbarn zu beherrschen’, hat heute ein Maß, das ein friedliches Zusammenleben mit seinen Nachbarn möglich gemacht hat. Der Weg, über alle Erfolge und Niederlagen im Laufe der Geschichte, zu den heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und des heutigen deutschen Sprachraums, soll hier aufgezeigt werden.
Hatte Deutschland auch natürliche Grenzen? Die deutsche Sprachgrenze wurde für lange Zeit als die natürliche Grenze angesehen und angestrebt, diese aber hat Deutschland nie besessen. Immer gehörten Gebiete deutscher Sprache zu Nachbarländern, meist auch fremdsprachige Gebiete zu Deutschland. Dazu hat sich die Sprachgrenze im Laufe der Geschichte stark verändert, sie zog sich im Westen über Jahrhunderte zurück, dehnte sich im gleichen Zeitraum aber weit in den Osten, um am Ende dort zu kollabieren. Im Laufe der Geschichte wurden jedoch geografische Grenzen als natürlich empfunden, also Meere (wie Nord- und Ostsee), Flüsse (wie Schelde, Maas, Rhein, Eider, Elbe, Oder und Memel) und Gebirge (wie der Böhmerwald, das Erzgebirge, die Vogesen und Alpen), allerdings meist nur vorübergehend und in immer wieder neuer Konstellation.
Was verstehen wir in dieser ‚Grenzgeschichte’ nun unter Deutschland? Hier stellen sich viele Fragen, denn eindeutig und einvernehmlich definiert ist dieser Begriff nicht. Inwieweit unterscheidet sich z.B. das ‚Heilige Römische Reich deutscher Nation’ vom ‚Deutschen Reich’ und von ‚Deutschland’? Soll eine Grenzziehung, die de facto geschaffen wurde, aber de jure nicht anerkannt ist, gelten? Oder gar umgekehrt, soll ein rechtlicher Anspruch gelten, wenn er tatsächlich nicht durchgesetzt ist? Bedeutet Lehnshoheit die Zugehörigkeit eines Gebiets zum Lehnsherrn oder nur eine Abhängigkeit? Was soll bei Personalunion gelten, wenn z.B. der dänische König gleichzeitig Herzog von Holstein ist und dieses zum Deutschen Reich gehört, der König also auch Mitglied des Reichstags ist? Ist z.B. Ostpreußen, als es nicht Teil des Reichs war, dennoch ein Teil Deutschlands? Diese Fragen bedürfen zur Behandlung unseres Themas einer tragfähigen Definition, die hier wie folgt versucht wird:
Zu Beginn seiner Geschichte ist Deutschland das aus dem Fränkischen Reich Karls des Großen im Vertrag von Verdun im Jahr 843 hervorgegangene ‚Ostfränkische Reich‘, ab dem 10. Jahrhundert ‚Deutsches Reich’, das zusammen mit Norditalien das ‚Heilige Römische Reich (deutscher Nation)‘ bildet. Den Unterschied zwischen beiden hat das Wormser Konkordat von 1122 mit dem Ende des ‚Investiturstreits‘ eindeutig geklärt: die Bischöfe in Deutschland erhalten vor ihrer kirchlichen Weihe die Einsetzungsurkunde (Investitur) durch den deutschen König, in Italien nach derselben. Dies zeigt den Unterschied im Machtbereich des deutschen Königs (ohne Italien) und des – in Personalunion – vom Papst gesalbten römisch-deutschen Kaisers (mit Italien). Mit Maximilian I., der 1508 ohne Krönung durch den Papst in Trient den Kaisertitel annimmt, und endgültig ab Ferdinand I. mit der Kaiserkrönung in Frankfurt tragen alle deutschen Herrscher ohne Salbung durch den Papst den Titel ‚Römischer Kaiser’. In ihrem Herrschaftsbereich bleibt der Unterschied zwischen dem Deutschen Reich und nicht zum Reich gehörenden ‚Kronländern’ jedoch bestehen. Deutschland im Sinne unserer Betrachtung ist daher zunächst das ‚Ostfränkische Reich’ und ‚Deutsche Reich’, nicht das darüber hinaus gehende‚ Heilige Römische Reich (deutscher Nation)’. Gebiete unter ‚Lehnshoheit’ werden als dem Lehnsherrn, und damit ggf. dem Reich, zugehörig betrachtet. Bei Personalunionen gilt doppelte Zugehörigkeit: eine schwedische Karte wird z.B. Teile Pommerns als schwedisch zeigen, während diese hier – mit besonderer Markierung – als dem Reich zugehörig betrachtet werden, da der schwedische König auch Reichsfürst war.
Im Falle des aus dem Deutschen Orden hervorgegangenen und lange Zeit ganz oder teilweise außerhalb des Reichs verbliebenen Preußen liegen die Verhältnisse komplizierter. Die außerhalb des Reichsgebiets liegenden Teile sind zunächst kein Teil Deutschlands. Erst mit dem Ende des Reichs und dem Verlust der polnischen Besitzungen im Tilsiter Frieden 1807 wird das ganze Preußen ein Teil Deutschlands, verdeutlicht auch durch die Zugehörigkeit zum Deutschen Bund.
Während Preußen im Laufe der Geschichte nach Deutschland hineinwuchs, um am Ende ganz in ihm auf- und unterzugehen, verlief die Entwicklung Österreichs in umgekehrter Richtung. Von Beginn an war Österreich ein ausschließlicher Teil Deutschlands. Erst mit dem Ausgreifen der Habsburger über Deutschlands Grenzen hinaus wird diese Identität aufgehoben, bis am Ende Österreich ganz aus Deutschland ausscheidet. Wir betrachten daher nur den Teil Österreichs, der Teil des Deutschen Reiches oder Bundes war, als Teil Deutschlands.
Nach dem Ende des Reichs 1806 besteht Deutschland aus dem ‚Rheinbund’ und den deutschen Teilen Preußens und Österreichs, 1820 im ‚Deutschen Bund‘ wieder vereinigt. 1871 folgt das zweite ‚Deutsches Reich‘, jetzt als ‚kleindeutsche‘ Lösung zwar mit Preußen, aber ohne Österreich; nach einer ‚großdeutschen’ Zwischenphase im ‚Dritten Reich’ und dem Zusammenbruch 1945 besteht Deutschland schließlich aus der ‚Bundesrepublik Deutschland‘ und der ‚DDR‘, ab 1990 als ‚Bundesrepublik Deutschland‘ wiedervereinigt.
Der Begriff ‚Deutschland’ wird also politisch, nicht völkisch oder kulturell verstanden.
Bei einer Diskrepanz zwischen einer rechtlichen und tatsächlichen Zugehörigkeit eines Gebiets wird hier die tatsächliche zu Grunde gelegt, wenn diese eindeutig ist und wenigstens drei Jahre Geltung hatte.
Auch der Begriff der deutschen Sprache bedarf einer Definition. Zunächst sollen hier die Dialekte westgermanischer Stämme verstanden werden, die in Folge der Völkerwanderung in Mitteleuropa ihren Siedlungsraum gefunden haben: die der Franken, Sachsen, Thüringer, Alamannen und Bayern; zuerst in Italien bildete sich im 9. Jahrhundert der umfassende Begriff ‚lingua teudisca’, also ‚deutsche Sprache’.
Die im 7. Jahrhundert durch Lautverschiebungen erfolgte Trennung in Niederdeutsch (Nieder- oder Westfränkisch und Niedersächsisch) und Hochdeutsch (die übrigen Dialekte) führte mit der allmählichen Loslösung der Niederlande vom Reich zu einer eigenen niederländischen Hochsprache. Die Bibelübersetzung Luthers ins Hochdeutsche trennte das Niederländische (Niederfränkische) endgültig von der deutschen Sprache. Das niedersächsische ‚Plattdeutsch’ folgte dieser Trennung nicht, es wurde zur Mundart bei zunehmend hochdeutscher Schriftsprache. Das Friesische, für lange Zeit einen breiten Landesstreifen an der Nordsee einnehmend, gilt als eine eigene westgermanische Sprache.
Die nachfolgende Grenzgeschichte wird nach geschichtlichen Ereignissen gegliedert, die wesentliche Änderungen der Grenzen Deutschlands bewirkten, mit 23 Karten in identischem Format und Ausschnitt sowie je einem Begleittext. Es handelt sich also um einen themenspezifischen Ausschnitt aus der deutschen Geschichte.
In den Karten werden die Außengrenzen des Deutschen Reichs (bzw. seiner Nachfolgestaaten) durch eine starke grüne Linie mit schwarzer Strichelung gekennzeichnet. Die Grenzen Preußens (innerhalb und außerhalb des Reichs bzw. Bundes), ab der Herrschaft der Habsburger und dem Erwerb Böhmens und Schlesiens auch Österreichs (nur innerhalb des Reichs bzw. Bundes), ebenso die Gebiete, die in Personalunion auch einem anderen Land angehören, werden durch eine mittelstarke grüne Linie mit schwarzer Strichelung, bestimmte Innengrenzen durch eine dünne grüne Linie dargestellt. Gestrichelte Linien ohne grüne Unterlegung zeigen bei Grenzänderungen den vorherigen Verlauf. Bei Ortsnamen wird die heutige deutsche Schreibweise verwendet, in gemischt- oder fremdsprachigen Randgebieten auch historische deutsche und fremde Namen.
In der Darstellung des Sprachraums bedeutet dunkelrot rein oder ganz überwiegend (über 75%) deutschsprachig, hellrot eine gemischtsprachliche Bevölkerung bei mindestens 25% deutschem Anteil. Schraffiert werden Gebiete, die sich durch Flucht und Vertreibung in einem Übergangszustand befinden. Es wird nur der Sprachraum im Kerngebiet betrachtet, nicht isolierte Sprachinseln, wie z.B. im Baltikum, in Ungarn und auf dem Balkan.
Während die geschichtlichen Ereignisse Geschichtswerken und sonstigen Nachschlagewerken entnommen werden können, war die Quellenarbeit bei Grenzziehungen und insbesondere dem deutschen Sprachgebiet in der Vergangenheit schwieriger. Bei den Landesgrenzen dienten ‚Putzgers Historische Schulatlanten’ von 1911 und 1961 und das Werk ‚Deutschlands Grenzen in der Geschichte’ (Alexander Demandt, 1990) als Quellen. Die Sprachgrenzen konnten z.T. ebenfalls Putzgers Atlanten entnommen werden, Ergänzungen boten die ‚Sprachkarte von Deutschland’ (Karl Bernhardi, 1843), die Karte ‚Das deutsche Land’ aus dem ‚Deutschen Kolonialatlas’ (Paul Langhans, 1897) und das Werk ‚Die Deutschen und der Osten’ (Hermann Schreiber, 1984). Die mittelalterlichen deutschen Ortsnamen im Westen und Süden wurden ebenfalls dem Deutschen Kolonialatlas entnommen.
Bei widersprüchlichen Daten wurde die im historischen Kontext nächstliegende Version gewählt.
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